The Walking Debt

2. Juli 2021 | Restrukturierung
Von Philipp Habdank

Seit der Coronakrise haben sie sich vermeintlich vermehrt: Zombie-Firmen, die nur noch künstlich am Leben gehalten werden. Droht die Apokalypse?

Der Mythos der Zombie-Apokalypse liefert seit Jahren verlässlichen Gruselstoff für Film und Fernsehen. Doch während es für die willenlosen Wesen im menschlichen Körper bislang noch keine stichhaltigen Beweise im realen Leben gibt, weilt eine andere Art von Untoten längst unter uns: Unternehmen, deren Zeit längst abgelaufen ist – operativ am Ende, und trotzdem mit Schulden künstlich am Leben gehalten.

Zombie-Firmen zahlen keine Zinsen

Die Coronakrise, in der der deutsche Staat die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt hat und zudem fleißig Rettungspakete schnürt, schreit förmlich nach einer Zombie-Apokalypse. Ob wir wirklich von einer zombifizierten Wirtschaft bedroht werden, ist aber fast schon eine philosophische Frage. Sie beginnt mit der Analyse, was denn überhaupt ein Zombie-Unternehmen ist.

Halten wir es mit der Bundesbank, dann sind das Unternehmen, die in drei aufeinanderfolgenden Jahren ihre Zinsaufwendungen nicht durch das Betriebsergebnis – also den operativen Gewinn – decken konnten. Der Zinsdeckungsgrad von Zombies – also die Relation von Gewinn zu den Zinsaufwendungen – wäre in diesem Fall kleiner als eins. Alternativ verweist die Bundesbank auf den Cashflow: Ist dieser drei Jahre in Folge negativ, haben wir es mit einem Zombie zu tun.

Ein Unternehmen wird als Zombie eingestuft, wenn es in drei aufeinanderfolgenden Jahren seine Zinsaufwendungen nicht durch das Betriebsergebnis decken kann.

Deutsche Bundesbank

Nach dieser doch recht soften Definition droht uns eine größere Zombie-Welle also frühestens in eineinhalb Jahren, sofern sich die Gewinne der Corona-geschädigten Unternehmen bis dahin nicht wieder erholen. Zombie-Hardliner sehen das anders, die berücksichtigen die Zeitachse nicht.

Gute Zombies, schlechte Zombies

Die Volkswirtin Christiane von Berg vom Kreditversicherer Coface stellt sich eher auf die Seite der Bundesbank. Zombie ist für sie auch nicht gleich Zombie: Ein schlechter Zombie ist ein Unternehmen, das hochverschuldet ist und keine Perspektive hat, aus dieser Verschuldung rauszukommen. Das Geschäftsmodell greift nicht mehr und die Zinsen können nur mit neuen Krediten beglichen werden. Perspektivlosigkeit ist das schlagende Kriterium. „Das ist aus makroökonomischer Sicht ein schlechter Zombie, weil er nicht überlebensfähig ist und dennoch die Ressourcen der Volkswirtschaft nutzt.“

Zombie-Firmen binden Kapital, was im aktuellen Umfeld aber nicht das Hauptproblem ist. Im Markt ist genug, wenn nicht sogar zu viel Liquidität vorhanden. Das volkswirtschaftlich größere Problem von Zombies ist, dass diese Unternehmen teils hochqualifizierte Arbeitskräfte binden. Deren Innovationskraft fehlt gesunden Unternehmen, was mit Blick auf den vorherrschenden Fachkräftemangel gleich doppelt bitter ist. Außerdem schädigen Zombies den Wettbewerb, der ohne die Untoten deutlich profitabler arbeiten könnte.

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Der Grat zwischen unprofitablem, aber hochinnovativem Unternehmen und Zombie-Firma ist schmal: Tesla gilt als eines der innovativsten Unternehmen überhaupt, beschäftigt über 70.000 Mitarbeiter und ist an der Börse rund 550 Milliarden Euro wert, schrieb aber über deutlich mehr als drei Jahre operativ rote Zahlen. Fast doppelt so viel wert und ein Langzeit-Zombie in der Bundesbank-Definition ist Amazon. Auch jedes mit viel Venture Capital vollgepumpte Startup, das plangemäß vier Jahre lang Cash verbrennt, ist hier erfasst.

Auf der anderen Seite gibt es die Wirecards dieser Welt: angeblich innovativ und Cashflow-stark überleben sie in Wahrheit nur, indem sie noch mehr Schulden aufnehmen, um die alten zu bezahlen. Und irgendwo dazwischen tummelt sich die breite Masse an Unternehmen, die sich schwer angeknockt durch die Coronakrise boxen. Welche dieser Unternehmen lohnt es sich aus volkswirtschaftlicher Sicht zu retten und welche nicht? Christiane von Berg zufolge sollten wir uns mehrere Fragen stellen: Funktioniert das Geschäftsmodell? Oder wird es wieder funktionieren? Hat es überhaupt schon mal funktioniert? Und gibt es eine Perspektive für das Unternehmen?

Unternehmen, die diese Fragen für sich mit „Ja“ beantworten können, bezeichnet von Berg nicht als Zombie, sondern als „Komapatient“. Diesen zu retten ist aus volkswirtschaftlicher Sicht sinnvoll.

Zombiewelle in Deutschland?

Was bleibt, ist das große Problem, die Zombies überhaupt zu identifizieren. Dazu gibt es nicht die eine Statistik. Viele verschiede ergeben zusammen aber ein Bild, das ein Gefühl für die Gefahr vermittelt, die von Zombie-Unternehmen ausgeht. Die Bundesbank schätzt, dass gemessen an ihrer Zombie-Definition eins von 16 Unternehmen ein Zombie ist – allerdings bezogen auf Zahlen für 2018. In ihrem Monatsbericht für den Dezember 2020 geht die Bundesbank davon aus, dass die Coronakrise zu mehr Zombies führen wird.

Andere Schätzungen gehen dagegen von einer deutlich höheren Zombie-Quote von 17 Prozent – also eins von sechs Unternehmen – aus. Das Ifo-Institut hat Ende 2020 eine Umfrage unter 120 deutschen Wirtschaftswissenschaftlern durchgeführt. 86 Prozent der befragten Ökonomen schätzen, dass die Anzahl von Zombie-Unternehmen seit Ausbruch der Coronakrise im März 2020 gewachsen ist.

Wann Zombies volkswirtschaftlich bedrohlich werden

Nach Einschätzung der Bundesbank geht von Zombie-Unternehmen in Deutschland dennoch keine spürbare Gefahr aus. Es sei nicht davon auszugehen, dass sie die gesamtwirtschaftliche Produktivität oder das Wirtschaftswachstum allgemein ausbremsen. Auch sieht die Bundesbank keine große Kapitalfehlallokation durch die Zombies. Vor der Coronakrise war die Bankverschuldung der Zombies – die Bundesbank nennt das „Zombie-Lending“ – niedriger als vor der Finanzkrise: 2007 waren Zombies mit 15,3 Prozent ihrer Bilanzsumme verschuldet, 2018 lag die Quote nur bei 1,5 Prozent (wobei man sich fragen muss, wer dann die ganzen Verluste bislang finanziert hat …)

Durch die Corona-Hilfspakete dürfte sich die Schuldenquote allerdings deutlich erhöht haben. Darum schlägt auch die Bundesbank warnende Töne an: Unrentable Geschäftsmodelle dürften nicht im Markt gehalten und Ressourcen müssten gesamtwirtschaftlich effizient eingesetzt werden. Zudem sollen die Hürden für den Marktaustritt von Zombies vermieden oder abgebaut werden. Heißt: die staatlichen Hilfen wie Kurzarbeit, Bürgschaften für Kredite oder steuerliche Entlastungen sollen nur so lange wie notwendig aufrechterhalten werden.

Auch Christiane von Berg fordert, dass die Politik die marktwirtschaftlichen Kräfte schnell wieder spielen lassen sollte. Eine Zombie-Quote von 6 Prozent hält sie volkswirtschaftlich noch nicht für bedenklich, 17 Prozent schon eher. Die kritische Schwelle liegt für sie bei 20 Prozent. Dann ist Panic-Room angesagt.

>> Info: Die vollständige Diskussion mit Christiane von Berg finden Sie hier im Video– oder Audiomitschnitt.

philipp.habdank@whatsup-cf.de