Verklausuliert: Fallstricke im LMA-Vertrag (#19)

8. April 2022 | Finanzierung
Von Philipp Habdank

Definitionen, Klauseln und Verbote. Was das LMA-Muster für Kreditverträge regelt und was nicht – und wie er in der Praxis gelebt wird.

Grundsätzlich ist dem Kreditnehmer im LMA-Kreditvertrag erst einmal alles verboten, außer es ist explizit erlaubt. Das ist zugegeben etwas überspitzt, trifft aber den Kern der Sache. Denn die Loan Market Association (LMA) schafft mit ihren Mustervorlagen für Kreditverträge zwar einheitliche Standards – diese sind in ihrer Rohform aber recht kreditgeberfreundlich und ohne Verhandlung für den Kreditnehmer folglich wenig attraktiv. Im Podcast haben wir mit Anwalt Thomas Lange von der Wirtschaftskanzlei Görg darüber gesprochen, welche Standards die LMA schaffen wollte – und welche in der Praxis gelebt werden.

Definition: Was ist der LMA-Standard?

Streng genommen gibt es nicht den LMA-Standard, sondern mehrere. LMA steht für Loan Market Association und ist ein Interessensverband von Banken, Kanzleien und anderen Vertretern aus dem Finanzwesen, um die Vertragsdokumentation an den Kreditmärkten zu vereinheitlichen. Die LMA wurde 1996 gegründet und umfasst heute nach eigener Aussage 779 Organisationen aus rund 65 Ländern. Dazu gehören Geschäfts- und Investmentbanken, institutionelle Anleger, Kanzleien, Dienstleister und Rating-Agenturen.

Was für LMA-Standards gibt es?

Es gibt weit über 25 verschiedene Vertragsmuster zu Kreditverträgen, Mandatsvereinbarungen, Gläubigervereinbarungen und vieles mehr. Die LMA bietet Muster zu Borrowing-Base-Finanzierungen, für Investment-Grade-Kredite, für Leveraged/High-Yield-Transaktionen, für Immobilienfinanzierungen, für die Exportfinanzierung, für Green & Sustainable Finance, für Restrukturierungen, bis hin zu Vorlagen für den Handel von Fremdkapitalinstrumenten auf dem Sekundärmarkt.

Gibt’s LMA auch auf Deutsch im Mittelstand?

Die LMA-Muster sind stark angelsächsisch geprägt und folglich auch auf Englisch. Die Kreditverträge sind auch deutlich länger geworden. „LMA-Verträge haben locker 150 Seiten pro Vertrag“, sagt Thomas Lange. Insbesondere für den kleineren deutschen Mittelstand ist das ein Unding. Darum haben dem Anwalt zufolge inzwischen eigentlich alle Banken ihre eigenen Hausmuster auf Deutsch, in einer abgespeckten Version, die sich an den LMA-Standards orientieren.

Sobald es in Richtung Konsortialkredit geht, ist der LMA-Standard laut Thomas Lange gesetzt. Geht es hingegen um eine simple Betriebsmittellinie werden weiterhin bilaterale und schlanke Verträge genutzt. Der beim deutschen Mittelstand sehr beliebte Schuldschein hat by the way auch ein eigenes LMA-Muster.

Der typische Aufbau eines LMA-Kreditvertrags

Die LMA ist, wir haben es schon erwähnt, angelsächsisch geprägt und hat folglich auch einen ausgeprägten Hang zu langen Definitionen. „Das allein können schon 20, durchaus aber auch 40 Seiten sein“, sagt Thomas Lange. Wen das noch nicht ermüdet hat, darf sich anschließend durch „operative und technische Regeln“ kämpfen, wie sie der Anwalt nennt. Sie regeln, welche Darlehen überhaupt eingeräumt werden, wann sie wie zurückbezahlt werden müssen, es geht um die Zinsausgestaltung und um eventuelle Sondertilgungen. Die gute Nachricht für den Kreditnehmer: Das macht in der Regel der Anwalt.

Allein die Definitionen können schon 20, durchaus aber auch 40 Seiten sein.

Thomas Lange, Görg

Es folgt ein ausführlicher Katalog an Zusicherungen, die der Kreditnehmer leisten muss, gefolgt von den Kreditauflagen, den sogenannten Covenants. Sie regeln, was der Kreditnehmer während der Laufzeit operativ alles einhalten und welchen (finanziellen) Informationspflichten er nachkommen muss. Auf den Zusicherungskatalog folgt dann die Liste mit Kündigungsgründen und ganz zum Schluss wird es wieder technisch: Dann wird geklärt, wer den Kredit unter welchen Umständen an wen abtreten darf, wie zusätzliche Kreditnehmer in den Vertrag aufgenommen werden können und wie Vertragsänderungen vorgenommen werden können.

Welche Covenants stehen im LMA-Kreditvertrag?

Das unverhandelte LMA-Muster für Leveraged-Finance-Transaktion enthält Musterformulierungen für: Cashflow Cover (Schuldendienstdeckungsgrad), Interest Cover (Zinsdeckungsgrad), Leverage (Verschuldungsquote) und Capital Expenditure (Beschränkung für Investitionen). Doch selbst der Guide zum Muster sagt, dass diese Covenants auf den Einzelfall abzustimmen sind – und der Einzelfall sieht in der Praxis so aus, dass nur der Leverage-Covenant übrigbleibt.

Im traditionellen Corporate-Markt gibt es laut Thomas Lange zusätzlich noch den Schuldendienstdeckungsgrad, also das Ebitda in Relation zum Schuldendienst. Die Kennzahl zeigt, ob das Unternehmen dazu in der Lage ist, aus dem operativen Geschäft heraus seinen Zins- und Tilgungsverpflichtungen nachzukommen. Während der Coronakrise forderten Kreditgeber zwischenzeitlich auch eine gewisse Mindestliquidität oder ein bestimmtes Mindest-Ebitda vom Unternehmen.

Covenant Lite vs. Covenant Loose

Covenants waren ursprünglich ein Frühwarnsystem für den Kreditgeber. Werden die Kennzahlen gerissen, kann der Kredit gekündigt oder nachverhandelt werden. Nach der Finanzkrise verkamen die Covenants aber zunehmend zum Differenzierungsmerkmal für Kreditgeber: Wer die wenigsten und weichsten Covenants akzeptiert, bekommt den Zuschlag für die Finanzierung.

In einem seit Jahren sehr kreditnehmerfreundlichen Marktumfeld zeigt der Trend klar in Richtung aufweichende Covenants. In diesem Zusammenhang wird im Markt gerne von Covenant-Lite- oder Covenant-Loose-Strukturen gesprochen. Es gibt hier keine einheitliche Terminologie, für Thomas Lange ist der Unterschied wie folgt: „Lite wird gemeinhin so verstanden, dass es überhaupt keinen dauerhaft getesteten Covenant mehr gibt. Loose im Sinne von locker bedeutet, dass es eben nur noch den einen Covenant gibt, der regelmäßig getestet wird.“

Headroom und Baskets im LMA-Kreditvertrag

Um zu verhindern, dass auch der letzte verbliebene Covenant noch gerissen wird, hat sich die Beraterbranche die sogenannten Headrooms ausgedacht. Heißt: Jeder festgelegte Covenant-Wert wird noch mit einem prozentualen Abweichungsspielraum versehen. Erst wenn auch diese Schwelle gerissen wird, liegt ein Covenant-Bruch vor. „Der Headroom kann 10 Prozent sein oder du bist in einem lockeren Umfeld unterwegs und packst 30 Prozent obendrauf“, sagt Thomas Lange.

Der Headroom schafft dem Unternehmen Freiraum, ist aber nicht zu verwechseln mit den sogenannten Baskets. Diese „Körbe“ am Ende des Kreditvertrags sind eine Art Auffangbecken, um dem Unternehmen mehr finanzielle Handlungsfreiheit während der Kreditlaufzeit zu ermöglichen. Juristen nennen das einen Auffangtatbestand. Dort landen laut Thomas Lange „bis zu einem bestimmten Umfang alle sonstigen Finanzverbindlichkeiten, die nicht ausdrücklich in den vorstehenden Definitionslisten erwähnt sind.“

Alles was da reinfällt, darf ich als Unternehmen einfach machen und muss den Kreditgeber vorher nicht um Erlaubnis fragen.

Thomas Lange, Görg

Der Umfang für einen Basket bemisst sich für gewöhnlich an einem festen Eurobetrag. „Alles was da reinfällt, darf ich als Unternehmen einfach machen und muss den Kreditgeber vorher nicht um Erlaubnis fragen“, sagt Thomas Lange. Wir erinnern uns kurz: Im LMA-Kreditvertag ist dem Unternehmen grundsätzlich alles verboten, außer es ist explizit erlaubt. Der Trick ist hier, zum Zeitpunkt des Kreditabschlusses so viel wie möglich in den Definitionslisten zu benennen, um so die Baskets für außerplanmäßige Sachen freizuhalten.

Insbesondere bei schnell wachsenden Unternehmen können die Baskets schnell ausgereizt sein. Das gilt insbesondere für Private-Equity-geführte Unternehmen, die eine Buy-and-Build-Strategie verfolgen. Aber auch hier hat hatte die Beraterbranche einen pfiffigen Einfall: die Grower-Baskets. Das bedeutet vereinfacht gesagt, dass die Baskets mit dem Unternehmen automatisch mitwachsen – in der Regel prozentual an das Ebitda gekoppelt.

Neben den Baskets für Finanzverbindlichkeiten gibt es noch weitere Baskets – für die erlaubte Veräußerung von Vermögensgegenständen und für Sicherheiten. Alles Freibriefe für den Kreditnehmer, weshalb die Debt Advisor auch versuchen, die Baskets so groß wie möglich zu verhandeln.

Die wichtigsten Klauseln im LMA-Kreditvertrag

Change of Control, Material Advers Change (MAC), Cross Default, Cross Acceleration: Der LMA-Kreditvertrag ist verklausuliert und verdenglischt ohne Ende. Wir haben uns im Podcast mit Thomas Lange die wichtigsten Klauseln mal genauer angesehen.

Beginnen wir mit der Change-of-Control-Klausel. Die Klausel greift dann, wenn sich die Mehrheitsverhältnisse des finanzierten Unternehmens verändern. Im LMA-Kreditvertrag ist das laut Thomas Lange nicht immer kein Kündigungsgrund, sondern meistens Anlass für eine sofortige Pflichtsondertilgung. Warum? Die Bank will wissen, wer hinter dem Unternehmen steht, das sie finanziert (Compliance, Know your Customer und so). „Details sind immer verhandelbar, aber dass mit den Kreditgebern gesprochen werden muss, ist dann eigentlich klar“, sagt Thomas Lange.

Cross Default vs. Cross Acceleration

Der Kontrollwechsel ist für gewöhnlich kein Kündigungsgrund für den Konsortialkredit, die sogenannte Drittverzugsklausel hingegen schon. Die Klausel besagt, ob der gesamte Konsortialkreditvertrag gekündigt werden kann, wenn irgendwo im Konzern ein bilateraler Kredit im Verzug ist. Die LMA spricht hier von Cross Default, wenn ein Kredit gekündigt werden kann und sie spricht von Cross Acceleration wenn der besagte Kredit auch tatsächlich gekündigt wurde. Unternehmen bevorzugen die Acceleration-Klausel. Die Begründung: Ein 100.000 Euro-Kredit einer Tochterfirma in Übersee kann doch nicht den großen Konsortialkredit kippen. Die Banken fordern die Cross-Default-Klausel. Ihre Begründung: Mit dem Konsortialkredit wird der komplette Konzern finanziert, dann ist für die Default-Frage auch jedes weltweite Tochterunternehmen relevant. Beide Argumente sind nicht ganz von der Hand zu weisen. Der gelebte Kompromiss im LMA-Kreditvertrag sind Grenzwerte. Bis zu einem Schwellenwert X gilt Cross Default, darüber hinaus Cross Acceleration.

Heilungsfristen und Waiver

Finanzierungsberater und -anwälte versuchen die Klauseln zudem gerne mit Heilungsfristen zu versehen, innerhalb derer das Unternehmen das Problem reparieren kann. Gelingt das nicht rechtzeitig, muss der Kredit aber nicht automatisch gekündigt werden. Das passiert Thomas Lange zufolge ohnehin nur in den seltensten Fällen. In der Regel setzten sich Unternehmen Fremdkapitalgeber dann zusammen und versuchen eine Lösung zu nennen. Im Fachjargon nennt man diese erlaubnispflichtige Abweichung vom ursprünglichen Kreditvertrag Waiver.

MAC-Klausel

Eine umstrittene Klausel ist die sogenannte MAC-Klausel. Das steht für Material Advers Change und ist das angelsächsische Pendant zur „Kündigung wegen einer wesentlichen Vermögensverschlechterung“ aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Der LMA-Kreditvertrag versucht MAC-Kündigungsszenarien möglichst detailliert zu definieren. Doch welche Ereignisse unter diese Klausel fallen und welche nicht; darüber lässt sich trefflich streiten.

Zuletzt wurde im Markt darüber diskutiert, ob die Coronakrise ein MAC-Event sei. Jetzt ist es die Russland-Ukraine-Krise. Laut Thomas Lange kommt es wie immer auf den Einzelfall an. „Kreditgeber sind da vorsichtig, weil ein Gericht im Nachgang entscheiden könnte, dass das eben kein Kündigungsgrund war und dann wäre die Bank schadensersatzpflichtig.“ Dass ein Kredit allein auf einen MAC begründet gekündigt wird, hält Thomas Lange für sehr unwahrscheinlich.

Sanktionen und Antikorruptionsklausel

Die Definitionsliste im LMA-Kreditvertrag ist lang. Doch ausgerechnet zu einer Sache gibt er kein Muster vor: zu Sanktions- und Antikorruptionsklauseln – ein Thema, das insbesondere für die Banken inzwischen sehr sensibel ist. Die finden das Thema nach den vielen Multi-Milliardenstrafen und der strengeren Regulierung nach der Finanzkrise nämlich gar nicht mehr so witzig. Thomas Lange berichtet, dass die Banken intern teilweise so strenge Vorgaben haben, dass sie den Kredit nicht gewähren, sollte das Unternehmen keine umfangreichen Sanktions- und Antikorruptionszusicherungen treffen.

Wenn ein Unternehmen die Zusicherungen nicht mehr einhalten kann, dann ist das ein Grund für einen Ziehungsstopp.

Thomas Lange, Görg

Diese Zusicherungen sollten die Unternehmen aber nicht auf die leichte Schulter nehmen. „Wenn es die Zusicherungen nicht mehr einhalten kann, dann ist das ein Grund für einen Ziehungsstopp“, warnt Thomas Lange. Heißt: Das Unternehmen bekommt dann kein Geld mehr. Und das heißt auch: Unternehmen müssen ihre geleisteten Zusagen auch monitoren und kontrollieren können – und zwar konzernweit. Die Russlandsanktionen im Zuge des Ukrainekriegs haben das schlagartig bewusst gemacht.

Die weiteren Themen im Podcast mit Thomas Lange

Über all das und noch mehr hat Thomas Lange ausführlich in der aktuellen Podcast-Folge gesprochen, die überall dort zu finden ist, wo es Podcasts gibt: Apple, Spotify, Google, Deezer, Amazon. Let’s go!

Die weiteren Themen:

  • Was ist der LMA-Standard?
  • Wie ist er typischerweise aufgebaut?
  • Was bedeuten die ganzen Klauseln in der Praxis?
  • Wo müssen Kreditnehmer hart verhandeln?
  • Gibt es Unterschiede zwischen Banken und Debt Funds?
  • Wie viel Zeit kostet ein LMA-Vertrag einen Anwalt
  • Fragen-Quicky

Info-Box: Noch mehr spannende Interviews aus der Corporate-Finance-Szene gibt’s in unserer Audiothek. Mehr Analysen zur Unternehmensfinanzierung liefert die zugehörige Themenseite.

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