Private Equity 2021: Gründer-Exits statt Nachfolge-Welle (#15)

4. Februar 2022 | Private Equity
Von Philipp Habdank

Private Equity hat den Mittelstand geknackt, aber anders als ursprünglich gedacht. Was uns das Rekordjahr 2021 über einen Markt verrät, der zwar immer professioneller, doch in vielerlei Hinsicht einfach immer krasser wird.

Es war seit jeher der große Traum von Private Equity: Weniger brancheninternes Deal-Recycling, dafür mehr Nachfolgeregelungen im Mittelstand. Spätestens mit dem Rekordjahr 2021 dürfte sich der Traum erfüllt haben – wenn auch anders als gedacht. Fakt ist: Im Jahr Eins nach Corona gab es im mittelständischen Private-Equity-Markt mehr Primaries als Secondaries. Heißt: Private Equity hat häufiger direkt vom Inhaber als von einem anderen Investor gekauft.

Das berichtet das „Finance-Magazin“ im Rahmen der „Midmarket Buy-out-Liste„, die das CFO-Magazin einmal Jahr im Auftrag der Deutsche Beteiligungs AG (DBAG) erstellt. Gezählt werden alle Mehrheitsübernahmen von deutschen Mittelständlern durch einen Finanzinvestor mit Unternehmenswerten zwischen 50 Millionen und 250 Millionen Euro. Minderheitsbeteiligungen, GP-led Secondaries, Add-on-Transaktionen oder Verkäufe an Unternehmen (Trade Sales) werden nicht berücksichtigt.

Wie Online-Chefredakteur Michael Hedtstück im Podcast von „What’s up, Corporate Finance?“ berichtet, sind die Verkäufer selten Familienunternehmer in x-ter Generation, wo der 88-jährige Senior in einem schwachen Moment aus Versehen an Private Equity verkauft hat. Diese vielbeschworene Nachfolgewelle sei in Deutschland nie so richtig gekommen. Es ist offenbar die Gründerwelle, über die Private Equity den Mittelstand geknackt hat: solide aufgebaute Mittelständler, die der Gründer mit 60 Jahren für die nächste Wachstumsphase an Private Equity übergibt.

Buy-out-Liste zeigt Rekordjahr für Private Equity

Diese Gründerwelle hat den mittelständischen Private-Equity-Markt 2021 zu neuen Rekorden getrieben – sowohl bei der absoluten Anzahl an Deals als auch beim Gesamtmarktvolumen. Der Buy-out-Liste zufolge verbuchte der Markt vergangenes Jahr 62 Transaktionen im Gesamtwert (Enterprise Value) von 6,6 Milliarden Euro. Das sind 20 Prozent mehr Volumen als noch im Jahr 2019 und fast doppelt so viel wie 2016.

Bis dahin ist der deutsche Midmarket gemessen am Marktvolumen ziemlich seitwärts gelaufen. „Aber seit 2017 geht’s wirklich durch die Decke, mit Wachstumsraten im jährlichen Schnitt von über 13 Prozent“, sagt Hedtstück – das verzerrende Corona-Jahr 2020 einmal ausgeklammert. Woran liegt das? Der Markt ist heiß und verfügt über unfassbar viel Kapital. So weit so bekannt.

Seit 2017 geht’s wirklich durch die Decke, mit Wachstumsraten im jährlichen Schnitt von über 13 Prozent.

Michael Hedtstück, Finance-Magazin

Spannender ist die Erkenntnis, dass die „Buy-out-Liste“ auf der Käuferseite immer granularer wird. Immer mehr Newcomer haben den Markt betreten. „Wir hatten 2021 mehr als doppelt so viele Transaktionen wie noch vor fünf oder sechs Jahren. Aber wir haben sehr wenige Häuser, die mit mehr als einer Transaktion pro Jahr in die Liste eingehen“, sagt Hedtstück. Und 2021 gab es offenbar, im Gegensatz zu den Vorjahren, von Juli bis September auch keine Sommerpause. „Ich glaube, der Markt ist den Marathon von Januar bis Dezember im 5.000-Meter-Tempo gelaufen“, so Hedtstück.

Capiton in Kauflaune

Die Deal-Krone setzte sich 2021 Capiton auf. Der Investor steuerte gleich fünf Transaktionen zur Liste bei. Das mag auf den ersten Blick überraschen, weil Capiton zuletzt zwar regelmäßig in der Liste zu sehen war, jedoch nie mit so vielen Deals. Auf den zweiten Blick bleibt die hohe Transaktionszahl zwar beeindruckend, ist aber begründbar: Dem Datenanbieter PitchBook zufolge hat Capiton 2020 seinen sechsten Fonds aufgelegt, der im November 2021 bei rund 580 Millionen Euro geschlossen wurde. Wie zu hören ist, soll der Fonds bereits zur Hälfte ausinvestiert sein. Auch im Vorjahr gab es einen Überraschungssieger: Im Coronajahr 2020 war die Nord Holding in Shopping-Laune und trug sich mit vier Deals in die Liste ein.

Wer sich zum Jahressieger krönt, hängt meist stark davon ab, welches Haus gerade einen neuen Fonds aufgelegt hat und sich in der Investitionsphase befindet. Viel spannender ist darum die Mehrjahresbetrachtung. Wer macht auf lange Sicht die meisten Deals, und welche Private-Equity-Häuser sind echte Serienkäufer? Im Fünfjahresranking hat Bregal die Nase vorn. Die ewige Tabelle (seit 2004) führt weiterhin die DBAG an – die das Projekt allerdings auch mitinitiiert hat und von Beginn an dabei ist. Die ewige Nummer Zwei ist Equistone, doch der Vorsprung schmilzt, weil der Münchener Private-Equity-Investor zuletzt weniger Deals gemacht hat, die den Kriterien der Liste entsprechen.

Auch Traditionshäuser wie Quadriga, Halder, Silverfleet oder Capvis waren früher häufiger in der Liste zu finden. Dass diese Häuser in der Rangliste nach unten durchgereicht werden, liegt auch daran, dass einige Häuser mit der Größe ihrer Fonds schlicht aus der 250-Millionen-Obegrenze rausgewachsen sind. Paragon ist dafür ein gutes Beispiel. Der Münchener Investor investiert seit 2019 aus seinem vierten Fonds. Dieser ist PitchBook zufolge mit rund 880 Millionen Euro fast doppelt so groß wie sein Vorgänger. Damit steigen auch die Deal-Tickets.

Was die Buy-out-Liste sagt, und was nicht

Die „Buy-out-Liste“ zeigt also nur einen Ausschnitt des mittelständischen Private-Equity-Marktes. Sie gibt Aufschluss darüber, welche neuen Spieler den Markt betreten und welcher Private-Equity-Investor in einem Jahr die meisten neuen Plattformtransaktionen gemacht hat. Um den gesamten Markt und damit den Einfluss von Private Equity im Mittelstand abzubilden, müssten auch Listen mit den Minderheitsbeteiligungen und vor allem Add-on-Akquisitionen danebengelegt werden.

Warum? Beispiel Waterland: Der Private-Equity-Investor war 2021 mit drei Plattformtransaktionen vertreten. Weil die Belgier aber eine echte „Buy-and-Build-Maschine“ sind, macht Waterland jährlich um ein Vielfaches mehr Add-on-Deals. Zweites Beispiel Emeram: Die Münchener stehen mit nur einer einzigen Plattformtransaktion in der Liste, haben 2021 aber sieben Add-ons getätigt und einen GP-geführten Secondary durchgeführt – haben also ein Portfoliounternehmen faktisch an sich selbst verkauft.

Wie groß ist der deutsche Add-on-Markt?

Kaum ein Private-Equity-Investor setzt heutzutage nicht auf eine Buy-and-Build-Strategie. Die Größe des deutschen Add-on-Marktes so exakt zu bestimmen wie den Plattformmarkt ist aber nicht ganz leicht. Der europäische „Buy-and-Build-Monitor“ von Silverfleet bezifferte den europäischen Markt im ersten Halbjahr 2019 auf 268 Add-ons im Wert von 2,4 Milliarden Euro, was der höchste Wert seit Beginn der Aufzeichnung war. Im ersten Corona-Halbjahr 2020 zählte der Monitor 253 Add-on-Akquisitionen mit einem Gesamtvolumen von 1,9 Milliarden Euro. Aktuellere Zahlen liegen nicht vor, doch Mitte 2019 merkte Silverfleet an, dass es zu diesem Zeitpunkt in Europa im Midmarket erstmalig mehr Add-on-Transaktionen als M&A- und Buy-out-Deals gab.

Für den „Buy-and-Build-Monitor“ lässt der britische Private-Equity-Investor – früher auch einmal sehr aktiv in Deutschland, heute eher die Restbestände verwaltend – seit 1998 von Mergermarket alle europäischen Deals aufbereiten, die folgende Kriterien erfüllen:

  1. Ausschließlich Folgeakquisitionen von Unternehmen, die mindestens zu 30 Prozent in Private-Equity-Besitz sind.
  2. Das zugehörige Plattformunternehmen sitzt in Europa.
  3. Das Add-on bringt mindestens 5 Millionen Euro Unternehmenswert auf die Wage …
  4. … oder setzt jährlich mindestens 10 Millionen Euro um.

Ein weiterer Annäherungsversuch: Houlihan Lokey (damals noch GCA Altium) zählte in ihrem eigenen „Midcap Monitor“ (zu den Q2-Zahlen geht’s hier, zu den Q3-Zahlen hier lang) allein in den ersten neun Monaten 2021 in Deutschland zusammengenommen 30 Add-on Transaktionen – und das waren nur die Transaktionen, die fremdfinanziert wurden. Die Investmentbank-Boutique definiert den Midmarket aber auch größer als „Finance“. Sie zählt alle Private-Equity-finanzierten Übernahmen, deren Finanzierungsvolumen zwischen 20 und 500 Millionen Euro lag, erhebt aber keine Daten zum Volumen.

Durchschnittlicher Enterprise Value bleibt konstant

Auch wenn die „Buy-out-Liste“ nur einen Teil des mittelständischen Private-Equity-Marktes abbildet, verrät sie uns einiges darüber, wie sich der Markt entwickelt. Obwohl die Kaufpreise in den letzten Jahren – und damit auch die relativen Kaufpreise – gestiegen sind, liegt der durchschnittliche Transaktionswert laut Michael Hedtstück seit Jahren konstant bei rund 100 Millionen Euro. Warum? Weil, am oberen Ende Deals aus der Liste rausfliegen, dafür unten aus dem Small-Cap-Segment neue reinkommen.

2021 haben Secondaries nur noch 20 Prozent ausgemacht.

Michael Hedtstück, Finance-Magazin

Eine zweite Vermutung, warum die Transaktionswerte im Schnitt nicht anziehen: Im Vergleich zu den Vorjahren gab es 2021 deutlich weniger Secondaries und Tertiaries, was in der Regel die größeren Deals sind. „Wir hatten früher eigentlich immer um die 50, 60 Prozent Anteil von Secondaries und Tertaries. Und ich weiß noch, dass damals die Diskussion geführt wurde, ob Private Equity auf dem Weg ist, sich nur noch selbst zu recyclen“, sagt Hedtstück. 2021 hätten die Secondaries aber nur noch 20 Prozent ausgemacht.

Brutaler Sektorfokus bei Private Equity

Nicht nur der Finanzierungsanlass hat sich über die Jahre verschoben. Am Markt ist ein noch nie dagewesener Herdentrieb zu beobachten. Über 60 Prozent aller Deals aus der „Buy-out-Liste“ kamen 2021 aus drei Branchen: Software (13), Healthcare (13) und Dienstleistungen (12). „Die höchste Zahl, die jemals in einer Branche davor gemessen wurde, war acht“, sagt Hedtstück.

Besonders bitter sieht es für die Automobilbranche aus – das einstige Lieblingskind von Private Equity. Die Deal-Bilanz der vergangen drei Jahre in der „Buy-out-Liste“: 2019: 1, 2020: 0, 2021: 0. Mit anderen Worten: In den vergangenen drei Jahren hat „Finance“ rund 25 Software-Deals, aber nur einen einzigen Automotive-Deal gezählt. Stellt sich die Frage, warum Private-Equity-Investoren immer mehr zu Mitläufern mutieren. Wir haben dazu vier Thesen:

  1. In unsicheren und volatilen Zeiten dürfte es schwer sein, im eigenen Investment-Komitee eine dem Trend gegenläufige Investmentthese durchzuboxen.
  2. Der globale Megatrend ESG befeuert Investments in die Software & Healthcare-Branche.
  3. Die durch den Herdentrieb stetig steigenden Multiples dürften so manchem Private-Equity-Investor sogar gelegen kommen. Wie sonst will die Branche ihre Abermilliarden an trockenem Pulver investieren?
  4. Die Hype-Branchen zählen zahlreiche junge, stark wachsende Unternehmen, deren Gründer zeitnah auf den Exit fokussiert sind – ein ideales Jagdrevier für Buy & Build.

Private Equity: deutscher Midcap-Markt ist reif

Über die Jahre ist der deutsche Private-Equity-Markt immer reifer und professioneller geworden. Es gibt immer mehr M&A-Berater und Intermediäre. Die Folge: Private Equity findet kaum noch Deals unter der Hand. Matthias Weidner – Chef-Dealsucher bei DPE Deutsche Private Equity – verriet neulich im Podcast, dass die DPE etwa 85 Prozent ihrer Deal Opportunities von Intermediären bekommt.

Der Großteil des Geschäfts läuft deshalb über von Beratern orchestrierte Auktionen. Hier gewann bislang – vereinfacht gesagt – der Fonds mit der höchsten Transaktionsgeschwindigkeit und der tiefsten Tasche. Schnell im Prozess zu sein, reicht heute aber nicht mehr aus. Oft kommt es nämlich gar nicht mehr zum M&A-Prozess, beziehungsweise er ist bereits vorbei, bevor er überhaupt richtig gestartet ist. Beim M&A-Monday im Dezember berichtete Jürgen Zapf von Alvarez & Marsal von Prozessen, durch die er in zehn Tagen durchmarschiert sei. Anwalt Hartmut Krause von Allen & Overy sprach gar von Situationen, wo zwischen der Öffnung des Datenraums und der Vertragsunterschrift nur drei Tage lagen.

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Private Equity kürzt ab, im Fachjargon nennt man das „Preemptive Deal“. Dafür muss der Käufer seine Due Diligence bereits gemacht haben, bevor das Unternehmen überhaupt an den Markt kommt, um dann direkt mit dem ersten Gebot all in gehen zu können. Die verschiedenen Bieterrunden werden einfach übersprungen. Dieser Trend hatte sich bereits Anfang 2021 abgezeichnet, wie Christian Keller von Houlihan Lokey im April vergangenen Jahres beim M&A Monday prognostizierte.

Was bedeutet das für das Private-Equity-Geschäft? Zunächst einmal bedeutet es extrem viel Arbeit, eine Due Diligence zu Firmen zu machen, die vielleicht demnächst an den Markt kommen. Private Equity wird mehr Leute brauchen – und das in einer Zeit, wo der Markt für gute Private-Equity-Professionals ziemlich leergefegt scheint, wie uns aus der Szene berichtet wird. Darum lohnt sich möglicherweise ein Blick in die Venture-Capital-Szene, wo beim Dealsourcing bereits stärker auf Daten und Künstliche Intelligenz gesetzt wird. (Mehr dazu im Podcast mit Mickaël Bellaïche und Mathias Weidner).

Die weiteren Themen im Podcast

Über das alles haben wir mit Michael Hedtstück ausführlich im Podcast gesprochen. Die weiteren Themen:

  • Was genau ist die Buy-out-Liste?
  • Wie laufen die Recherchen dazu ab?
  • Welche Transaktion im wahrsten Sinne des Wortes „beerdigt“ wurde.
  • Welche fiesen Tricks M&A-Berater immer häufiger anwenden.
  • Wie hat sich die Private-Equity-Branche seit der Finanzkrise verändert?
  • Ist der mittelständische Private-Equity-Markt überhitzt oder einfach nur gereift?
  • Fragen-Quicky

Die Folge gibt es wie immer überall dort, wo es Podcasts gibt: Spotify, Apple, Google, Deezer, Amazon.

Info-Box: Noch mehr spannende Interviews aus der Corporate-Finance-Welt gibt’s in unserer Podcast-Audiothek. Weitere Analysen rund um Private Equity liefert die zugehörige Themenseite.

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